Halleluja und Alltag
Cohen, Pop und Religion

Ich schrieb kürzlich einen Aufsatz über die Dinge des Alltags und ihren religiösen Hintergrund nach meinem Kirchenaustritt. Dabei entdeckte ich Leonard Cohens Popmusik. Er sang vieles, was den religiösen Hintergrund bei religiös unverdächtigen Dingen offenlegte: Kunst, Sprache, Ohnmacht, Krieg, Frauen, Sex usw. Einiges fand ich bei ihm wieder.

 Als Bob Dylan (das war meine Zeit in den 60ern und 70ern), der sehr schöne Liedtexte und Lieder verfasst hat, den Nobelpreis bekam, sagte er, dass der Kanadier Leonard Cohen (1934-2016) und seine Poesie diesen Preis eher verdient hätte als er.

Cohens bekanntester Song, der auch mich so begeistert hat, war sein „Halleluja“. Klingt zwar religiös, ist aber sehr poetisch und klingt total anders, als man das von einem Popsänger erwartet. In seiner Band spielt er oft Gitarre mit Finger Picking. Ein Grund mehr, Cohens Songs zu hören. War die Gitarre die neue Version von Davids Harfe?

„Davids Harfe klingt über den Tod hinaus“, so sein berühmtester Song, er ist auch sein rätselhaftester: Halleluja (1994). Der Liedtext spielt mit jüdischen, christlichen und buddhistischen Motiven“. Sein Halleluja, das mich nach wie vor fasziniert ist ein gebrochenes Halleluja, gebaut auf Religion und seinem Zweifel. Hier eine Strophe aus diesem Song übersetzt:

Interessant ist, dass die Geschichte von David (dem jungen König Israels) und der ebenfalls jungen Batseba in der Bibel etwas anders ist. Sie war die Frau des Feldherrn Urija, der gerade im Krieg gegen die Ammoniter kämpfte. David beobachtete sie beim Bad auf dem Dach und war fasziniert. Er schlief mit ihr und zeugte seinen Sohn Salomon. Nach einigen Szenen, ähnlich wie im Tatort-Krimi, schickte David den Urija an die vorderste Front. Urija starb. Ein Prophet verkündete, dass Gott ihm verzieh, weil er bereute. Aber David zeugte mit Batseba trotz der Reue noch weitere Kinder.

Cohen sah in dieser Geschichte Davids eine Geschichte, die einen religiösen Hintergrund hat. Auch hinter Erotik und Sex sah er ein Halleluja. Der talentierte David hatte zwar einen starken Glauben. Aber die hübsche Batseba war stärker als die religiöse Tradition. Wie auch immer: Am Ende steht das Halleluja.

Aus einem weiteren Song:

 

Orthodoxe Juden sprechen das Wort “Gott“ nicht aus. Verwendet Cohen dafür öfter das Wort „David“. Eigentlich bedeutet es nichts, meint Cohen allen Orthodoxen zum Trotz. Aber man spürt in jedem Wort etwas aufblitzen, egal ob es etwas Heiliges oder Unheiliges, gar Sündhaftes im Sinne seiner Gruppenmoral war, es ist halt ein Halleluja.

In einem seiner letzten Alben Come Healing (Komm, heilen) singt Leonhard Cohen über folgendes:

Ein gebrochenes Herz prägt eine gebrochene Welt in unserer Situation, aber eine ungeteilte Liebe ist unser Heilmittel. Wenn sie zu unserem alltäglichen Pharmakon wird, heilt sie unser gebrochenes Herz. Wenn ich Cohens Text richtig verstehe, liegt die ungebrochene Liebe tief in unserem Inneren und kann unseren gebrochenen Körper heilen, wie er in den anderen Strophen seines Liedes singt

Die Momente seines Lebens – auch wenn er 1992 von ihnen in seinem Song „Waiting For A Miracle“ („Warten auf ein Wunder“) noch nicht singen konnte – sind gleichsam eine Lösung für das Chaos in seinem, auch in unserem Leben.

„Highway“ habe ich mit „Straße“ übersetzt, weil Highway der Ausdruck vom Propheten Jesaja, der in der deutschen Übersetzung meist mit Bahn oder Straße übersetzt wird. Ob Highway oder Straße – wenn man auf diesem Highway alias Straße stürzt, dann wartet man darauf, dass jemand versteht, was passiert ist.  Kurz und gut: Jeder Moderator fragt z.B. einen Sportler, wie er sich fühlt, wenn er keine Medaille bekommen hat. Dumme Fragen und keine Hilfe wie Trost, gute Beurteilung etc. Kein Wunder der Liebe, des Verstehens, höchstens ein Wunder der Dummheit. Aber das kennen wir ja. Cohen würde das anders sehen. Das Wunder ist das liebende Verstehen.

In einem anderen Song heißt es: Verstehen ist Liebe, das ist „A Thousend Kisses Deep“, es hat die Tiefe von 1000 Küssen. Für Cohen ist Liebe Religion.

Aus seinem Leben

Leonard Cohen (Quelle Pixabay)
Leonard Cohen (Quelle Pixabay)

So doppelbödig Cohen bei seiner letzten Pressekonferenz kurz vor seinem Tod mit 82 Jahren über Religion spricht, so äußert sich der geborene Jude auch in seinen Songs. Keine Gotteserfahrung ohne doppelten Boden und kaum ein doppelter Boden ohne Gotteserfahrung. Fast immer haben seine religiösen Texte eine Brechung, doch fast nie gibt er sie der Lächerlichkeit preis. Gerade in der Brechung wirken seine Songtexte ehrlich und gegenwärtig. Cohen sagt nichts, was er nicht glaubt. Deshalb sind seine Texte komplex und lohnen näheres Hinsehen.

Er kommentiert das Ende seines Interviews – der Inhalt seines Interviews: er sei zum Sterben bereit – ein paar Tage später darauf so: „Ich glaube, ich habe neulich gesagt, ich sei bereit zum Sterben. Ich glaube, ich habe übertrieben. Von Zeit zu Zeit befällt einen die Selbst-Dramatisierung. Ich möchte ewig leben.“ Was genau war „übertrieben“? Das mit dem nahenden Tod? Oder war eher die Vorstellung übertrieben, man könne bereit sein zu sterben?

Das ewige Leben, eine wichtige Vorstellung in der christlichen Religion, als Punchlinie eines gelungenen Witzes – so wirkt es. Vielleicht ist der Witz so gut, weil er so viel Wahres enthält.

Oder war es Leben = weiter leben – ohne Grenze, weil Leben schön sein kann?

Kaum hat sich der alte Mann der Selbstdramatisierung bezichtigt, holt er zu einer viel größeren dramatischen Geste aus: Er wolle ewig leben, haucht er ins Mikrofon. Was meint er damit?

Leonhard Cohens sehr tiefe Stimme – sein Grund: ein Swimming pool voller Whisky und 1000e von Zigaretten – entdeckte ich, weil mich dieser Popsänger, über Religion singend, auch meine zerbrochene Religion, mein broken Halleluja fasziniert hat.  Cohen wurde als Jude geboren, lebte einige Jahre mit einer Christin, verbrachte fünf Jahre in einem Zen-Kloster. Zurück im Alltag. Etwa 400.000 Amerikaner starben in den damaligen Kriegen. Da textete er in einem Album „Maybe there’s no God above“ (Übersetzt: Mag sein, dass es keinen Gott über uns gibt), und doch singt er sein Halleluja, ein gebrochenes Halleluja

Sein 1. Lied war „Suzanne“ – Suzanne mit ihrem ersten Hausnamen: Verdal, es kamen noch mehrere dazu. Sie war Tänzerin und lebte im Hafen von Montreal. Der junge und unbekannte Leonard Cohen besucht sie und verliebt sich in die geheimnisvolle Lady vom Hafen. Suzanne erwidert Leonards Gefühle, aber sie heiraten nicht. „Ihr“ Lied erscheint erst nach der Trennung. Darin heißt es, dass sie sich liebten, dann weinten und wieder liebten. Die beiden hatten 2 Kinder. Seine Tochter begleitete ihn bis 2010 nach Leonards Reinfall – Erklärung später.

Nach der Trennung von Suzanne wurde Marianne Cohens große Liebe. – er hatte zwar viele Frauen, war aber nie verheiratet. Er widmete ihr ein Lied, das ebenfalls ein Hit wurde. Sie war seine Partnerin, seine „griechische Muse“, wie sie selbst sagte. Mit ihr war er viele Jahre bis zum Tod zusammen. Was die beiden verband: Zwei Menschen konnten sehr unterschiedliche Vorstellungen davon haben, aber sie wussten, was Liebe heißt. Irgendwie war das auch so, wie Cohen über David und Batseba sang. Liebe, auch jenseits von gleichen Ansichten, Rollen und Regeln, ist ein Moment der Religion, ein broken Halleluja.

Zen-Kloster Mount Baly. (Quelle Pixabay)
Zen-Kloster Mount Baly. (Quelle Pixabay)

5 Jahre war Cohen Zen-Mönch in Mount Baldy nördlich von Los Angeles. Bevor er sich mehr oder weniger dafür entschied, hielt er sich jedes Jahr für eine kürzere Zeit dort auf. Oft hat er die Rolle der Religion in seinem Leben heruntergespielt. Auch dass er eine Zeit als Zen-Mönch lebte, sei nicht einem besonderen Interesse am Buddhismus zu verdanken, sondern einem Bedürfnis nach Ordnung und Struktur. Judentum, Christentum und Zen-Buddhismus sind für ihn kein Widerspruch. Der Buddhismus baut nicht auf Gottesvorstellungen, sondern auf eine Art des guten und sinnvollen Lebens. Cohen brauchte die Religion als Mittel gegen Entwurzelung, sie gab ihm Ordnung und Struktur. Er brauchte Sinn in den Abgründen und Tiefen seines Lebens

Als Cohen nach seinem Klosteraufenthalt in sein früheres Leben in Los Angeles zurückkehrte, musste er erfahren, dass jemand (wahrscheinlich eine Mitarbeiterin – Cohen akzeptierte den Reinfall) mit all den Millionen, die er 45 Jahre lang verdient hatte, verschwunden war. Geld, das er seiner Tochter und seinem Sohn überschreiben wollte. So ging er im Alter von 73 wieder auf Tournee, um Geld zu verdienen. Wenn das nicht so gekommen wäre, hätten wir seinen Song „Halleluja“ nicht gehört.