Die unbeachteten Frauen
Benjamin Franklin in der Zeitung seines Bruders vor 300 Jahren

Gleiche Behandlung von Mann und Frau ist ein riesiges Problem. Kann man es überhaupt lösen? Solange die Gesellschaft falsch gepolt ist, kann man das sicher nicht. Umso umwerfender ist es, dass 1722, also 300 Jahre vor uns, ein ziemlich überraschender Zwischenruf von dem Drucker, Erfinder und Politiker Franklin zu einem aktuellen Thema gewagt wurde.

Zufällig las ich einen Artikel über Benjamin Franklin. Mich interessierte nicht die Biographie des erfindungsreichen Mannes, außer der Phase, dass er sich aus der Enge des Puritanismus befreite. Zwei Dinge elektrisierten mich, einmal die Tatsache, dass er unter Pseudonym und inkognito in der Zeitung seines Bruders schrieb. Dann auch dass er sich quasi als (damals noch) Puritaner für die – (nicht nur) in jener Zeit total übersehenen und diskriminierten – Frauen einsetzte.

Leserbriefe schreiben, als es noch keine Schreibmaschinen gab. Foto von Pixabay
Leserbriefe schreiben, als es noch keine Schreibmaschinen gab. Foto von Pixabay

Beides will ich kurz kommentieren. Mein Bruder – seine Frau, Mitherausgeberin, übergehe ich mal kurz – gibt einen Blog heraus, keine Zeitung. Aber Blogs im 18. Jhdt. gab es ja noch nicht. Und meine Beiträge übergebe ich nicht bei Nacht und Nebel. Also brüderliche Gemeinsamkeit? Aber vieles ist bei Benjamin Franklin total anders, wie sich nach und nach herausstellte. Aber sein Thema ist nach wie vor aktuell.

Und was mich dann noch aus der Ruhe brachte, war eines seiner Themen: Frauen. Ich wollte wissen, ob Franklin schreibt, was die meisten über Frauen und Frauenrechte schreiben, nämlich Bullshit. Ich bin unbedingt für die Gleichbehandlung der Frauen, aber ziemlich skeptisch, ob und wie uns diese Gleichbehandlung gelingt. Warum hat die Ungleichbehandlung so lange gedauert? 1918 wurde das Wahlrecht für Frauen in Deutschland eingeführt, 1971 erst in der Schweiz. Oder eine Kontoeröffnung der Frau wurde bei uns in Deutschland erst 1958 „erlaubt“.

Benjamin Franklin (nicht Franklin D. Roosevelt, 32. USA-Präsident) wurde 1706 in Boston als 15. Kind eines puritanischen Seifen- und Kerzenmachers geboren. Bekannt wurde er zwar als Erfinder des Blitzableiters, aber mit 16 schrieb er unter dem weiblichen Pseudonym Silence Dogood in der Druckerei seines Bruders. Der gab die Bostoner Zeitung New-England Courant heraus. Benjamin war sehr begabt, auch in jungen Jahren las er viel, z.B. Bücher eines Bostoner Theologen namens Cotton Mat. Sein Vater wollte ihn in Harvard studieren lassen und ihn dann zum evangelischen Pfarrer berufen lassen. Er litt aber unter der eher konservativen Einstellung seiner Familie.

Mit 16 Jahren regte er sich auf, dass die Frauen so in die gesellschaftliche Ecke gedrängt wurden. Das zu ändern war für den Jugendlichen so gut wie unmöglich – damals war so etwas wie Greta Thunberg undenkbar. Er wählte darum einen sehr ungewöhnlichen Weg. Er schrieb Briefe unter Pseudonym in der Zeitung seines Bruders und schob bei Nacht und Nebel seinen Kommentar unter die Tür. Der war so gut, dass er bald gedruckt wurde. Ein Interessent mehr. Und ein ernstzunehmender Leserbrief aus der gebildeten Mittelschicht. Was kann sich eine Zeitungsredaktion Besseres wünschen?

Leider gingen dem jungen Franklin nach 14 Briefen die Ideen aus. In seinem ersten Brief schrieb Benjamin Franklin alias Silence Dogood über sich selber. Er fühlte sich ein in die Welt einer Frau seines Standes. Hier ein Textauszug:

Franklin Text
Franklin Text

Nach 2 Jahren beichtete Benjamin seinem Bruder die Geschichte mit dem Pseudonym. Der hatte bis dato den bisher unbekannten Schreiber in höchsten Tönen gelobt, doch nun war er enttäuscht und eifersüchtig. Er ließ sich sogar dazu hinreißen, seinen Bruder zu drangsalieren und zu schlagen. Dies führte zum Bruch zwischen den beiden. Zunächst versuchte Benjamin, bei einem anderen Drucker in Boston eine Lehrstelle zu bekommen. Als dies nicht gelang, lief der Siebzehnjährige von zu Hause weg und schiffte sich heimlich nach New York ein und später nach Groß-Britannien.

Franklin Biografie
Franklin Biografie

Heben wir noch einmal in Kürze hervor, was Franklins Problem im Leben der Frauen ist: Erstens, Frauen haben Ideen, können sie aber nicht umsetzen, weil sie es nicht dürfen. Franklin fand, dass Intelligenz nicht deren Problem war. Und zweitens Frauen ärgern sich darüber, dass sie vielfach belächelt werden. Sie werden diskriminiert. Was sind die Gründe?

  1. Die eingebildeten Studenten von Harvard und ihre Saufkultur

Benjamin Franklin studierte nicht in Harvard, und wurde auch kein Pfarrer. Warum dann die Kritik der Studenten? Benjamin wusste, dass Harvard-Studenten eingebildet waren, weil sie meist gut honorierte Berufe vor sich hatten, sahen sie Frauen als Spaßobjekt an und tranken sehr viel. Trunkenheit zählt als männlich. Das fand er auch damals schon schlimm. Wahrscheinlich entschied er sich auch deswegen gegen diese Karriere.

Einbildung, Trinkerei und ein konservatives Frauenbild, um nicht zu sagen: Antifeminismus gehören leider immer noch – neben sicher auch positiven Merkmalen – zu den Grundideen von Burschenschaften und Studentenverbindungen. Studenten wollen eigentlich etwas Anderes. Das gibt es hier wie in den USA.

Dass solch eine Ideenmixtur in der heutigen Zeit noch existiert, hat offensichtlich die letzten 300 Jahre überlebt. Franklin wäre wütend geworden und hätte wohl nicht nur in der Zeitung geschrieben. Riskiert hat er ja einiges: Gute (?) Ausbildung, anerkannte Berufslaufbahn und Unterstützung durch die Familie.

Eines ist klar: Frauen werden herabgesetzt und benachteiligt. Und es gibt keine überzeugenden Gründe dafür. Heute würde man sagen: Benachteiligung der Frauen sind ein stereotypisiertes Vorurteil. Wer die Tradition als Erfinder und liberaler Politiker immer wieder durchbricht, kann damit nicht zufrieden sein.

  1. Bildungsarmut der Frauen als Schuld der Männer
Benjamin Franklin (Foto pixabay)
Benjamin Franklin (Foto pixabay)

Benjamin Franklin vertrat zeitlebens, auch in seiner Jugend schon, die Ansicht, dass Bildungsarmut der Frauen nicht aus ihrer fehlenden Qualität kommt, sondern Schuld der Männer ist. Männer trauten, so argumentierte er, den Frauen nicht zu, gute Ideen zu haben. Dass solche Argumente als lächerlich angesehen wurden, gehörte zum Verhaltenskodex der Männer. M.E. könnte ein Mann wie er kein Erfinder sein, wenn er sich nicht aus einem mentalen Korsett befreien würde. Wirkliche Liberalität könnte das nicht vertreten.

Natürlich ist es schön, dass Frauen über 50% (2006 laut Ärzteblatt 63%) der Medizinstudierenden ausmachen und die Virologinnen, die meist jung und hübsch im TV zu sehen sind, sogar die Uni-Karriere bewältigt haben. (Werden die Hübschen vom Virus benachteiligt?) Selbst ein Mathematikstudium wird etwa zu 50% (laut ZEIT) von weiblichen Studierenden aufgenommen. Einen Studienabschluss machen nur ca. 1% weniger.

Noch in den letzten Jahren wurde angenommen, dass Frauen Mathe nicht beherrschen würden. Sogar die Fähigkeit, Auto zu fahren und insbesondere rückwärts einzuparken und ähnlicher Unsinn, schien die Anlagen einer Frau zu überschreiten. Sog. Multitasking (mehrere Dinge gleichzeitig erledigen) wird zwar den Frauen als typischer Vorteil abgesprochen, aber als Ausrede der Männer für Faulheit entlarvt. Es sei nochmals betont, dass dieser Blödsinn noch bei Weitem nicht ausgelöscht ist. Der sehr niedrige Frauenanteil in Führungspositionen (Vorstände in den 30 größten Dax-Unternehmen: 14,6%, Vorstände aller Dax-Gruppen: 11,1%) erledigt die von Franklin angezettelte Debatte noch längst nicht.

Das Rollenschema des Mannes ist das Problem. Wie Herbert Grönemeyer schon sang:

Männer kaufen Frauen / Männer stehen ständig unter Strom / Männer baggern wie blöde / Männer lügen am Telefon / Oh, Männer sind allzeit bereit / Männer bestechen durch ihr Geld und ihre Lässigkeit …

Sicher, Grönemeyer ist kein Soziologe, aber ich habe seinen Songtext immer schon sehr interessant gefunden, gleichsam als Karikatur des Männerbildes. Bin ich das, fragte ich mich. Muss man dann damit rechnen, dass Frauen immer die Arschkarte gezogen haben? Ein bisschen habe ich mich geschämt.

  1. Abweichen vom üblichen Weltbild

Entdeckungen lösen ein Chaos aus. Die Anfänge mit den Leserbriefen hat Franklin hautnah zu spüren bekommen. Abweichen vom üblichen Weltbild löst Verwirrung und Fehlverhalten aus.

Ein Bespiel: Die Erfindung des großen Blutkreislaufs durch William Harvey 1628 liegt zwar gut 100 Jahre vor Franklin, aber die Diskussion schwappte bis ins nächste Jahrhundert. Viele Universitäten interessierte nicht, dass die Menge an Blut nicht der Menge an Flüssigkeit entsprach, die durch Trinken und Nahrung aufgenommen wurde und zudem ausgeschieden wurde. Wichtig war, so meinten viele, dass das Herz den Menschen regiert und nicht Gott den Menschen. Ähnlich waren die fundamentalen Debatten der berühmten Astronomen und der Erfindungen, die ein weniger gefährliches Lebens (neu)ordnen wollten.

Viele Erfindungen lehnte die Kirche ab, weil Weltbildveränderungen auch ein Durcheinander von Regeln, Annahmen und Ordnungen bedeuten würden. Ein neues System hätte geschaffen werden müssen, und genau das wollten die nicht, die Macht hatten. Und Männer und ihre Männergesellschaft (Kirche, Wissenschaft, Politik, Militär usw.) hatten die Macht.

Ein Blitz, der es in sich hat. Foto Pixabay
Ein Blitz, der es in sich hat. (Foto pixabay)

Was hat Franklins Verteidigung der Frauenrechte mit der Abweichung vom üblichen Weltbild zu tun? Bleiben wir beim Blitzableiter, einer eher harmlosen Erfindung! In der Mitte des letzten Jahrhunderts, also in meiner Kinderzeit, war ein Gewitter ein bedrohliches Ereignis. Oma betete den Rosenkranz. Der Rest der Familie richtete Stoßgebete gen Himmel. Eine Kerze, möglichst geweiht, auf dem Fensterbrett erleichtert die Optik Gottes, der ja schließlich auch ein Gewitter stoppen kann – oder nicht. Von Wasser – das soll Bitze anziehen – musste man sich entfernt halten. Die Fenster musste man schließen wegen der sog. Kugelblitze usw. Und dann kam der Blitzableiter. Harmlos?

Natürlich gibt es diese Angst vor dem Gewitter heute so nicht mehr. Was aber eher selten vorkommt, dass man versteht, wie Blitze zustande kommen, was Auflösung eines Gewitters verhindert, wie Blitzableiter funktionieren und sog. Erdungsanlagen beschaffen sein müssen usw. Gehen wir weg von Franklins Blitzableiter und konzentrieren wir uns auf sein erstes Problem: Das Dilemma der Stellung der Frau in den Augen der Gesellschaft und ihrer Tradition zu bearbeiten. Ein Weltbild kann nur verändert werden, wenn man aus dem verbalen Feuerwerk der Frauenrechte aussteigt. Franklin spürte, dass eine Änderung der Stellung der Frau nur durch eine Weltbildänderung gehen konnte.

 Ein aktueller Hintergrund

Änderung eines Weltbildes ist schwierig, aber nicht unmöglich. Und da stehen wir vor dem Schritt, den Franklin vor 300 Jahren gewagt hat. Sein Anlauf ist leider heute bei weitem nicht zu Ende gegangen. Wir tun etwas, was die Qualität einer Änderung von Weltbild und Macht hat, tun aber das Seichteste, was man sich denken kann, um das Bild der Frau und ihre Rechte zu etablieren. Und genau da wird es klemmen.

Die Ampelregierung hat das kürzlich wieder versucht. Sie fordert gleichen Lohn für gleiche Arbeit. Gut so. Wir müssen aber das Weltbild ändern, Weihnachtsansprachen helfen nicht. Sonst brauchen wir wieder 300 Jahre.

Gegenwärtig gibt es das Hin und Her mit dem grammatischen Genderproblem. Da gibt es weibliche und männliche Vertreter einer bestimmten Berufsgruppe. Etwa Polizistinnen und Polizisten (die sind bei Corona andauernd gefragt). Falls man das schreiben will, gibt es u.a. etwa das sog. Binnen“I“ (Polizisten*innen) oder die Möglichkeit der ausgeschriebenen Bezeichnung. Z.B. lese ich einen längeren Artikel über Patientenrechte. Steht da „Patientinnen und Patienten“, ist Ruckzuck manchmal ein Drittel der Spalte voll, ohne dass irgendein Inhalt darüber hinaus transportiert wird.

Gesprochen ist der Unfug noch größer. Irgendein Polizeipräsident gibt zum Besten, dass – man beachte die Aussprache! – „die Polizisten und Polizisten“ dies oder jenes getan haben. Das erste „Polizisten“ ist die schnell dahingeschlabberte Ausdrucksweise für „Polizistinnen“. Schlabbern verboten. Ist das das neue Weltbild, um das sich Franklin bemüht hat?

Franklin wollte genau das. Frauen sollten als das beachtet werden, was sie sind. Nicht Objekt der Mächtigeren, also – wie viele meinen – der Männer. Ihre Einordnung in unsere Gesellschaft und ihre Gleichbehandlung kann nicht auf ihre Funktion begrenzt werden, á la gleicher Lohn bei gleicher Funktion. Schon richtig, aber nicht aufregend. Da sind wir wieder bei Franklin.