Die Tristesse des rechten Denkens
Von der Unfähigkeit des Weiterdenkens im rechten Mileu

Sind Rechte oder Nazis einfach dumm oder „nur“ unfähig, selbst und weiter zu denken? Ein Versuch der Spurensuche mit Hilfe der Psychologie der persönlichen Konstrukte nach George A. Kelly

Tristesse des Denkens (Foto A. Illhardt)
Tristesse des Denkens (Foto A. Illhardt)

Es gibt Wesen der tierischen und menschlichen Gattung, bei denen man auf eine Begegnung einfach keinen gesteigerten Wert legt. Im Tierreich gibt es die Bezeichnung des Lästlings; derartige Kategorisierungen werden im menschlichen Bereich nicht bemüht. Für die menschliche Untergattung der gemeinhin als Nazis bezeichneten Anhänger von nationalsozialistischem Gedankengut, würde ich die Bezeichnung Widerling vorschlagen, was aber die Sache keinesfalls auf den Kopf trifft und nur unnötig verschönt. Übrigens stand der Ausdruck Nazi früher für eine einfältige, törichte Person. Ein Schelm, der da an einen Zufall denkt. Ist ein Nazi tatsächlich einfältig oder töricht, was ja auch leichtgläubig bedeutet?

Demonstranten (Foto A. Illhardt)
Demonstranten (Foto A. Illhardt)

In Deutschland – und hier nicht nur im Osten – gab es in der nahen Vergangenheit (wir befinden uns im Jahr 2015) jede Menge bestialischer Übergriffe auf Flüchtlingsheime. Es wurden Wohnheime in Brand gesetzt, Menschen krankenhausreif geschlagen, auf ausländische Kinder uriniert, Häuser von Kritikern angezündet, Drohungen (zumeist in schlechtem Deutsch) verschickt, Schmierereien getätigt usw. In der «Westdeutschen Allgemeinen Zeitung» verurteilte Bundestagspräsident Norbert Lammert die gewalttätigen Ausschreitungen rund um die Flüchtlingsunterkünfte als «Schande» und empfand sie als «peinlich für unser Land». Was meint der CDU-Politiker mit peinlich? Peinlich bedeutet beschämend oder unangenehm. Aber ist das wirklich alles, was ihm dazu einfällt? Sind ein versuchter Mord oder Brandschatzung peinlich? Hat er Sorge, dass aufgrund solcher Ausschreitungen ausländische Anleger nicht mehr in Deutschland investieren oder befürchtet er, dass der Frömmlerpartei Wähler abhandenkommen, die ja gerne schon mal auch weit rechts andocken?

In meiner Heimatstadt Telgte sind Nazis und Rechte, was aber letztendlich aufs Gleiche hinausläuft, nur rudimentär ein Problem. Sie zeigen sich nicht offen oder leben im benachbarten Warendorf. Selbstredend gab es im Dritten Reich sehr aktive Nationalsozialisten in der Emsstadt, die sich mit viel Spaß und Freude an der Pflicht an dem Judenprogrom beteiligten. Es ist verpönt, ihre Namen zu nennen, sie sind aber durchaus bekannt. Ich stelle es mir grauenhaft vor, z.B. in Heidenau Haus an Haus mit einem dieser Kriminellen zusammenleben zu müssen. Es ist nicht ihr z.T. martialisches Aussehen, Fallschirmspringerstiefel sind ja erst einmal nichts anderes als recht robustes Schuhwerk, sondern ihre Art, ihre Blicke, ihr Schmalspurdenken, ihr aggressives Auftreten, ihr viehisches Gegröle. Man kann mit Nazis nicht diskutieren heißt es. Man kann schon, doch es bringt nichts, weil sie in kognitiv unreifen Prozessen agieren.

Denkeinengung (foto A. Illhardt)
Denkeinengung (foto A. Illhardt)

Ich hatte das Glück – und ich meine hier Glück im Sinne einer Bereicherung von Erfahrung – mit Alt- und Neonazis ins Gespräch zu kommen. In meiner Zeit als Krankenpfleger kam es häufig vor, dass sich unter den Kranken gebrechliche Nazis befanden. Gerne kritisierten sie mein Aussehen (damals Ohrringe, längeres Haar etc.) und die Tatsache, einen Frauenberuf auszuüben, als unmännlich und verweichlicht. Trotzdem waren sie froh, wenn ich sie wusch oder ihnen beim Abführen behilflich war. Und dabei erzählten sie mir von ihrem Weltbild und schwärmten von ihren soldatischen Einsätzen für das starke Hitlerdeutschland. Ihre Argumentationen waren durch und durch eindimensional, festgezurrt, uneinsichtig und nicht zu Ende gedacht oder in die Tiefe gehend. Ich lasse an dieser Stelle mit Absicht eine Wertung der Inhalte aus. Nur nebenbei: Ich bin Antifaschist, was nichts sagt, aber vielleicht erklärt. Später betreute ich immer wieder mal junge Neonazis in meiner Funktion als Psychotherapeut. Auch hier wurde schnell deutlich, dass z.B. ihre negativen Erlebnisse wie Mobbing in der Schule, mangelnde Geborgenheit in der Familie oder körperliche Gewalterfahrungen gepaart mit einer emotional instabilen oder passiv-aggressiven Persönlichkeit zu einem solchen, gemeinhin als rechts eingestuften Denken und Verhalten führten. Wenn die Popband „Die Ärzte“ in ihrem Lied über Neonazis von einem „Schrei nach Liebe“ singen, so handelt es sich bei dieser Beobachtung mehr als nur um ein Quäntchen Wahrheit.

In der Psychoanalyse gibt es den Begriff der Verschiebung als eine Spielart in der Liste der Abwehrmechanismen, mit dem Fantasien oder Impulse, die ursprünglich mit einer ganz anderen Person assoziiert waren, auf eine andere, im Grunde unbeteiligte bzw. unschuldige Person oder auf Tiere – wie man es im Zusammenhang mit Tierquälerei kennt – verschoben werden. Habe ich also selbst Ressentiments oder Gewalt erlebt und wurde dadurch gedemütigt oder erniedrigt, so ist es aus Mangel an Alternativen ein Leichtes, diese Befindlichkeiten an Asylbewerbern, Behinderten oder anderen Wehrlosen oder Schwachen auszulassen. Nazis – ob jung oder alt – strotzen vor allem durch Schwäche: Einen Obdachlosen zu Tode zu treten oder einen einzelnen Asylbewerber in einem Tross von anderen Rechtsradikalen zu quälen, ist ein in jeder Hinsicht schlimmes Armutszeugnis für soziale Kompetenz und emotionale Intelligenz.

George A. Kelly (Quelle: www.Famous Psychologists.org)
George A. Kelly (Quelle: www.Famous Psychologists.org)

Ein kleiner Exkurs: 1955 veröffentlichte der US-amerikanische Psychologe George Alexander Kelly (1905 – 1967) sein ca. 1200 Seiten umfassendes Hauptwerk „The Psychology of Personal Constructs“. Kelly erreichte nie die Berühmtheit eines Carl R. Rogers (Gesprächspsychotherapie) oder Fritz Perls (Gestalttherapie), dennoch, oder vielleicht gerade deswegen, faszinierte mich seine psychologische Denkweise und die damit verbundene Philosophie nicht erst zu Studentenzeiten wesentlich mehr als z.B. verhaltenstherapeutische Ansätze. Warum? Weil es hier nie um Dogmen ging, sondern um ein Denkmodell, dass viel Spielraum für mein eigenes psychotherapeutisches, aber auch allgemeines Denken und Auffassen bot. Noch nie mochte ich mich auf eine Lehrmeinung, ein Paradigma oder einen Glaubenssatz festlegen lassen. Dies widerspricht bis heute meinem Freiheitsdrang. Es würde mich zu einem Schwarz-Weiß-Denken verführen und die Wahrnehmung von Grauschattierungen ausblenden. Doch genau das ist das Problem bei rechtsradikal denkenden und handelnden Menschen: Sie sind nicht in der Lage, warum sei noch zu klären, einen anderen Standpunkt einzunehmen als den, der für sie am ehesten denkbar und das heißt auch verstehbar ist. Für sie gibt es nur schwarz oder weiß.

Führer (Foto M. Illhardt)
Führer (Foto M. Illhardt)

Kelly´s Psychologie der persönlichen Konstrukte geht von der Annahme aus, dass der Mensch bei der „Vermessung“ seiner Welt wie ein Forscher vorgeht. Er hat ein bestimmtes Konstrukt, ein Bild vom Sein oder auch So-Sein, dass er wahlweise bis zur absoluten Denkstarre beibehalten, oder aber aufgrund von Abgleichungen, Überprüfungen und neue Erfahrungen verändern kann. Eigentlich sollte unser Denken eine Hypothese sein, so wie in der Wissenschaft. Ich nähere mich der Wahrheit, wenn sich diese Behauptung durch Untersuchen und Überdenken bestätigen lässt. Eine Auffassung kann somit zu einem Dogma werden (alle Ausländer schaden Deutschland) oder aber zu einer Theorie, mit dem wir experimentieren und erforschen (Es gibt bei den Ausländern so viele Ausnahmen, dass sich der Satz „alle Ausländer schaden Deutschland“ nicht verallgemeinern lässt. Es gibt ja auch Deutsche, die Deutschland schaden). Somit sieht jeder von uns eine Situation oder eine Gegebenheit durch die Brille seiner eigenen Konstrukte. Habe ich selbst Angst vor neuen Herausforderungen oder fühle mich zu ungebildet, um mich auf einen Aspekt meiner Umgebung oder eigenen Lebens „selbstdenkend“ einzulassen, werde ich ein weiteres Konstrukt aus meinem Denkhut zaubern, nämlich dass Personen, die es zu Status = Macht gebracht haben, berühmt sind oder eine Sache vielleicht sogar studiert haben sich auskennen und ich daher ihre Meinung ungeprüft übernehmen kann. Natürlich werde ich mir dafür nur Personen aussuchen, die ein Weltbild vertreten, dass sich halbwegs mit den von mir bevorzugten Strukturen vereinen lässt. Die Rädelsführer im rechtsradikalen Bereich sind häufig halbgare Denkphlegmatiker, aber sie brillieren z.B. mit bestimmten Machtattitüden, einem herrischen Auftreten oder saßen bereits drei Jahre im Knast, was zumindest den Anschein eines unbeugsamen Charakter imaginieren lässt.

Kellys Psychologie ist vor allem eine Psychologie der Veränderung (1), was letztendlich dazu führt, dass es durchlässige und undurchlässige Konstrukte gibt. Es hat mit unserer Denkfähigkeit, unserer Erziehung, unserer Kultur, unserer Sozialisation, unserer Persönlichkeit und unserer Bildung zu tun, ob wir einem Konstrukt die Chance geben, überarbeitet oder gar erneuert zu werden. Wenn wir nie gelernt haben, statt Schwarz und Weiß auch Blassgrau, Dunkelgrau oder Schneeweiß zu sehen, werden wir uns eher für eine klare Farbwahl entscheiden. So kann Feindseligkeit entstehen. Wir neigen dazu … „feindselig zu werden, um die Gewissheit, die wir eigentlich nicht haben können, zu erzwingen: Wir drangsalieren andere solange, bis sie sich auf eine Art und Weise verhalten, die unseren Vorhersagen entspricht. Wir fälschen die Bücher und weigern uns, die letzte Bedeutung dessen, was passiert, wahrzunehmen.“ (1) Es ist kein Zufall, dass gerade im rechten Milieu Verschwörungstheorien Konjunktur haben.

Verbildung (Foto A. Illhardt)
Verbildung (Foto A. Illhardt)

In dem bereits zitierten Song der „Ärzte“ heißt es: „Du bist wirklich saudumm!“ Sind Nazis, Faschos und – nicht zu vergessen – die am Straßenrand johlenden und applaudierenden Bürger wirklich nur saudumm? Man macht es sich damit sehr leicht und stiehlt sich aus einer Verantwortung. Definiert man Dummheit als die unzureichende Fähigkeit, aus seinen Wahrnehmungen angemessene Schlüsse zu ziehen, was oft auf einer Unkenntnis, fehlender Heranführung und mangelnden Bildung beruht, muss man sich an dieser Stelle fragen: warum ist das so? Eltern, die ihren Kindern keine humanistischen Werte vermitteln, machen sich genauso schuldig, wie Schulsysteme, die nur damit beschäftigt sind, die Schüler für den Kapitalismus funktionstüchtig zu machen. Kirchen und konservative Politiker machen sich schuldig, wenn sie Homosexualität als nicht von Gott gewollt und daher pervers deklarieren, was der Fremdenfeindlichkeit auch in diesem Bereich Vorschub leistet. Städteplaner, die Arme und Schwache in Ballungszentren abschieben, statt ein Miteinander zu planen, öffnen Ängsten und Vorurteilen Tür und Tore. Eine Gesellschaft, in der jeder nur noch an sich und seine Bereicherung denkt, was wiederum durch die Wirtschaft nur zu gerne unterstützt wird, verhindert, dass sich soziale, tolerante und menschlich gesinnte Persönlichkeiten entwickeln. Und Medien, die Gewalt und das Recht des Stärkeren glorifizieren müssen sich am Ende des Tages fragen lassen, welche gesellschaftliche Berechtigung sie haben.

Nazis sind nicht zu dumm, sondern unfähig, selbst und weiter zu denken. Ein mehr als verbreitetes Phänomen in der gesamten Gesellschaft. Und das macht mir Angst!

Quellen:

(1) Don Bannister/Fay Fransella: Der Mensch als Forscher (Inquiring Man) – Die Psychologie der persönlichen Konstrukte. Arbeiten zur sozialwissenschaftlichen Psychologie. Münster, 1981

Manfred (Sader): Psychologie der Persönlichkeit. München, 1980