Mit Fehlern macht man alles Mögliche: verpönen, ahnden, verdrängen usw. – nur nicht akzeptieren und produktiv damit umgehen. Nur eine Fehlerkultur kann fehlerträchtige Situationen bearbeiten und aus Fehlern lernen.
Fehlermachen ist Bedingung für Entwicklung. Machen Fehler Menschen vielleicht sogar charmant oder bringen sie uns weiter?
Auf diese Frage stieß ich per Zufall. Ein Freiburger Medizinstudent kam aus Cleveland/Ohio nach Freiburg zurück und wollte hier seine Doktorarbeit zum Thema „Fehlerkultur in der Medizin“ zu Ende schreiben. Mit seinem Doktorvater in den USA hatte er schon viel über die dort recht ausgearbeiteten, als Codes bezeichneten Programme nachgedacht. Hier wollte er das Thema weiter bearbeiten. Er ging jedoch vor Abschluss der Arbeit aus privaten Gründen in die Staaten zurück. Schade!
Mich hat an der Arbeit des Medizinstudenten sehr stark interessiert, ob das Thema hierzulande sensibel genug angegangen wird. Beeindruckend war, dass dort vorgesetzlichen Bestimmungen das Katastrophische genommen wurde.
Dieses Thema entdeckte ein paar Jahre später der Deutsche (früher Nationale) Ethikrat, der die Bundesregierung in medizinethischen Fragen berät. Er schrieb, dass „das Krankenhaus eine konstruktive Fehlerkultur zulässt und diese in ein Risikomanagement zur kontinuierlichen Verbesserung der Ergebnisqualität integriert.“ Halten wir fest, wie wichtig Fehlerkultur ist und wie sehr wir auf Fehler angewiesen sind. Auch in anderen Bereichen?
Wir kämpfen gegen eine fehlerhafte Welt mit Paragraphen und Gesetzbüchern, obwohl Fehler nicht mit Paragraphen und Gesetzbüchern geregelt werden können. Im Fall Amri im Dezember 2016 wie bei anderen IS-Attacken inner- und außerhalb der EU standen hinter den bedrückenden Ereignissen der Terrorattacken allzu oft simple Fehler der Administration.
Eine interessante Bemerkung aus der NZZ vom 15.7.2017: „Jetzt [nach der Messerattacke in Hamburg] fordern Innenpolitiker eine europäische Extremistendatei, obwohl die EU schon drei Datenbanken hierfür unterhält. Doch es liegt nicht an den Instrumenten, sondern an der Haltung.“ Statt Fehlerkultur Gesetzes(un)kultur? Terroristische Attacken lassen sich nicht verhindern, auch durch Gesetze nicht. Aber einige lassen sich durch vernünftigen Umgang mit Fehlern vermeiden.
Ärgerlich ist die Beobachtung, dass mir das Eingestehen von Fehlern in Politik und Administration sehr selten begegnet. Politiker sprechen Parteichinesisch, so denken sie auch, da fallen Fehler nicht auf. Dass sich der Papst in Rom bzw. die Kirche ihn für unfehlbar hält, ist ein relativ kleines Problem. Aber inzwischen gibt es viele Duodezfürsten v.a. aus der Politik, die sich für unfehlbar halten. Sieg der Unvernunft, und das etwa 200 Jahre nach dem Kampf der Aufklärung gegen Unvernunft.
Offensichtlich werden Fehlerkodizes in vielen Unternehmen (siehe Graphik) erarbeitet, weil die Qualität der Produkte oder Dienstleistungen mit der Kundenzufriedenheit sehr stark zusammenhängt. Fluggesellschaften machten den Anfang. Die und die Medizin setzen auf Qualität des Überlebens. Auf die Autonomie des Menschen, der mit Technik und ihren Fehlern leben muss, kommt es an.
Was verstehen wir eigentlich unter Fehler? Auskünfte von Google und gedruckten Lexika sind eher mager. Fehler sind die Nichterfüllung einer Anforderung und haben für mich nichts mit kriminellen Akten wie Betrug, Lügen, Trumpschen Fake News und Manipulationen zu tun. Sie sind eher Irrtümer und Fehlentscheidungen, denen Absichtslosigkeit zugrunde liegt. Sie sind das Infragestellen einer anerkannten Norm und führen zu geringen, aber manchmal sogar zu unakzeptablen Konsequenzen. Notfalls müssen Gerichte Fehler von Verbrechen unterscheiden. Wer keine Fehler akzeptiert, akzeptiert auch kein Lernen – und das geht nicht ohne Fehler.
Beispiele für Fehler sind ein/eine
In diesem Schema kommen Gesetze nicht vor. Absichtlich. Sie funktionieren nur, wenn angemessene Sanktionen damit verbunden sind. Eine Fehlerkultur arbeitet anders. Sie ist eine Art Plädoyer für eine Regelung, die auf Überzeugungskraft und Verstehen von Individuen oder Gruppen setzt. Genau das ist es, was wir brauchen: Verstehen, was wir warum tun bzw. nicht tun sollen. Wegen Strafandrohung etwas zu tun oder nicht zu tun, scheint bei infantilisierten Personen zu klappen. Es wird schwierig, aber nachhaltig, wenn wir begreifen, warum wir etwas tun oder nicht tun.
Ansätze einer Fehlerkultur
Üblich ist das Vertuschen von Fehlern, die erstens zu besonderen Unsicherheiten führen. Zweitens ziehen sie versicherungstechnisch bei Offenlegung der Fehler höhere Versicherungspolicen nach sich. Genau das haben wir schon sehr lange erlebt. Um Risiken zu vermeiden, verzichtet man auf Mut.
Schauen wir uns die Vorschläge zur Fehlerkultur einmal näher an:
- Fortschrittsbremse: Fehlerangst
Warum Angst vor dem Eingestehen von Fehlern? Wer Fehler eingesteht, hat schlechte Karten. Leider! Ohne Fehler gibt es keinen Fortschritt. So etwa in der Medizin. Um Fehler zu vermeiden, wagt der Arzt keine riskante Therapie und macht nur das Übliche. Seine Angst: das würde die Haftpflichtpolice erhöhen. Man nannte das „defensive Medizin“. Für andere Bereiche gilt das ebenso.
- Fehler nicht verleugnen
Fehler machen ist menschlich. Sie nicht zuzugeben ist Verdunklung der Menschlichkeit. Versuchen wir das Gegenteil: Sie offen einzugestehen entkrampft eine Beziehung, macht einen ehrlicher und mutiger. Fehler verleugnen heißt auf Kreativität verzichten. Deshalb die Fehlerkultur. Eine Welt, in der Fehler eingestanden werden, wird durchsichtig und offen. Fehler-Eingestehen beweist Ehrlichkeit, auf die man sich verlassen kann.
Wer Fehler verleugnen muss, verstrickt sich in eine Welt der Lügen. Denken wir an den Film von Spielberg „Catch me if you can“. Dicaprio lügt genial, aber er lügt.
- Schuldzuweisungen
Bedeutet Fehlermachen Schuld haben? Wenn das so einfach wäre! Fehler haben viele Hintergründe: Zerrüttung, Irrtum, Not, Egoismus usw. Schuldzuweisungen passen deswegen fast nie. Sarkastisch formuliert: Fehlersuche endet oft mit der Bestrafung der Unschuldigen. Es geht hier nicht um Justizirrtümer, sondern um fehlerhafte oder gar parteiische Ursachenforschung. Dabei dürfte Fehler-Eingestehen kein Drama der Schuld nach sich ziehen.
- Aufklärung und Transparenz
Fehler können nur wahrgenommen werden, wenn zwei Dinge vorausgesetzt werden: 1. man wurde etwa als Konsument, Patient oder Fluggast ausreichend und verständlich informiert und 2. man kann nachvollziehen, wie das technische Gerät, die Behandlung oder der Reiseplan vonstattengeht bzw. umgesetzt wird. Nichts schlimmer als undurchsichtige Bedingungen für die Entscheidung. Leider sind Aufklärung und Transparenz politischer Konzepte für uns Bürger selten.
- Fehlerinformation – schriftlich oder mündlich?
Fehler müssen offengelegt bzw. als möglich erachtet werden. Eigentlich hätte die mündliche Information den Vorteil von Frage und Antwort. In vielen Situationen ist eine Beziehung von Person zu Person nicht denkbar, die schriftliche Version ist darum oft geeigneter. Sie ist jedoch missbrauchsgefährdet. Beispiele sind die Gebrauchsanweisungen, sie sind vielfach unverständlich, rein technisch und informieren selten über Fehler. Es gibt jedoch Ausnahmen. Man denke auch an Patienteninformationen. Nur das, was schriftlich formuliert ist, kann eingeklagt werden: Nur im Idealfall versteht das der Patient. Die Patienteninformation wurde zum juristischen Text. Die Gefahr besteht natürlich auch bei anderen Texten. Damit auch die Gefahr, Fehler zu Straftatbeständen und Ordnungswidrigkeiten zu machen, aus ihnen nicht mehr zu lernen, sondern sie zu verheimlichen.
- Vermeiden von fehlerträchtigen Situationen
Eine Fehlerkultur setzt sich das Ziel, Situationen zu vermeiden, die fehlerträchtig sind. Solche Situationen müssen benannt werden, damit man im Vorhinein das Risiko abschätzen kann. Wenn riskante Situationen bekannt werden, und nur dann, kann auch erklärt werden, wie der Hersteller, die Reisegesellschaft oder die Medizin helfen kann. Und was noch wichtiger ist, solche Situationen sollen korrigiert oder vermieden werden. Nicht Fehler sind zu vermeiden, sondern riskante Situationen.
Fazit:
Halten wir fest: Fehlermachen ist gut und wichtig, wenn wir aus Fehlern lernen und Erfahrungen sammeln. Das gilt in Beziehungen, im Beruf, in wirtschaftlichen Interaktionen usw. Im Politikfeld kommt das alles zusammen. So etwa der Feldversuch mit der Gesichtserkennung in einem Berliner Bahnhof. Terrorattacken und andere Verbrechen sollen damit bekämpft werden. Nachweislich waren administrative Fehler und Schlampereien die Ursache. Aber nicht Fehler wurden für die Erfahrungssammlung diskutiert, sondern ein aufwendiger Feldversuch. Unser aller (informationelle) Selbstbestimmung steht in Gefahr. Zur Abwägung stehen ein unsicherer Fahndungs- und keinerlei Präventionserfolg.
Vielleicht entdecken Terroristen ja die Drohnen. Dann ist das Projekt mit der Gesichtserkennung und viel Geld (mal wieder) ein Schlag ins Wasser. Und das Problem mit der Fehlerkultur auch.