Erinnerungskultur
In den USA und bei uns

Der USA-Präsident Donald Trump und seine Milliardär-Kumpels vernichten Erinnerungskultur. Fotos werden geschreddert. Zurzeit wird das Bildungsministerium aufgelöst. Nur: Was soll das? Fotos und Namen leben in unseren Köpfen, und sterben nicht im Papierkorb. Das gibt uns zu denken.

Erinnerungskultur ist etwas Besonderes: Sich an etwas erinnern, Altes wieder aufleben lassen und überlegen, warum das wichtig war. Wir brauchen Bilder, Museen, Bildungseinrichtungen usw. Türsteher Trump ist dagegen jemand, der nichts und niemanden reinlässt, das oder der seines Erachtens nicht dahingehört. Manchmal hilft er auch beim Rausschmeißen. Überlegen und Sich-Erinnern ist nicht seine Sache, ist Kopfsache, und das kann er nicht.

Zur Einstimmung ein Witz:

Trumps Haus in Mar-​aLago geriet in Brand, vor allem seine Bibliothek brannte lichterloh. Aber sein 2. Buch in der Bibliothek konnte gerettet werden.

Was in Amerika passierte, sagte mir kürzlich auf der 8. Seite die Neue Zürcher Zeitung (NZZ), aber was ich las, ist mehr als „unter ferner liefen …“ Es ist deswegen so wichtig, weil die Folgen so schlimm sind. Hier zunächst die Chronik:

1. Die amerikanischen Bilderstürmer

Make me great again (Quelle Pixabay, eigene Bearbeitung)

TDie Eintragung von LGBTQ (lesbian, gay, bisexual, transgender/transsexual, queer/questioning) ins Geburtsregister wird gestoppt auf nur noch „Weiblich oder Männlich“. Pete Hegseth (Verteidigungsminister), Amerikas größter Gegner aller Diversitätsprogramme (abgekürzt in den USA als DEI-Programme [diversity, equity, inclusion) meint, dass damit die Kampffähigkeit der Armee untergraben wird. Erhöht Schreddern die Kampffähigkeit?

Das Pentagon hat 26.000 Bilder von LGBTQ-Personen gelöscht bzw. verbrannt. Warum eigentlich? Es gilt als Aufweichung des Eigentlichen: Penis oder Scheide. Wie wir wissen, reicht Trump das. Die Vernichtung der Bilder könnte laut Social-Media-Konten auf 100.000 anwachsen. Die Daten bleiben doch.

Lächerlich war etwa ein Foto, auf dem „Enola Gay“ zu lesen war. Es war das Foto mit dem damaligen Piloten, Paul Tibbets, der seinen Bomber mit dem Namen seiner Mutter Enola Gay versah. Hergseth (Verteidigungsminister) las natürlich sofort, dass der Pilot ein Homo (englisch: Gay) war, wusste aber nicht, dass Gay nur der Mutter-name des Piloten war.

Ähnlich unsinnig waren die Fotos der schwarzen (!) Piloten der afroamerikanischen Fliegerstaffel „Tuskegee Airmen“, die als Helden im 2. Weltkrieg gefeiert wurden. Wer schwarz ist, taugt nicht, meinen Trump und die anderen Simpel. Ab mit ihren Fotos in den Abfalleimer!

Auch Frauen stehen auf der Abschussliste, es sei denn, sie bevorzugen Bettgeflüster. Das Gleiche tut Trump, nur: er ist ein Mann, der lieblosen Sex schätzt. Also Abschussliste! Da war z.B. Jeannie Leavitt (Colonel), erste weibliche Kampfpilotin der Air Force mit ihren Bombenflügen. Ähnlich die ersten weiblichen Pilotinnen des Air Service (nicht der Air Force). Auch wenn sie nicht kämpften, riskierten sie im 2. Weltkrieg Beschuss, wenn sie ihre Flugzeuge nach Großbritannien überführten.

Geradezu komisch war die Tilgung von Fotos der Biologen des Armeekorpses. Bei ihrer Aufnahme wurde nach Gewicht, Größe und Geschlecht gefragt. Wie dumm, dass im Englischen Geschlecht „Gender“ heißt. Und Gender ist bei Trump & Co ein Reizwort, das am Ende in LGBTQ endet. Weg mit den Fotos! Schlimm, dass alle anstößigen Fotos dieser Art so schnell wie möglich (ab dem 26.2. 2025 binnen einer Woche, befahlen Trump & Co) entfernt werden sollten. Unsinn gibt den Ton an.

Während der Amtszeit von Joe Biden müssen alle Einträge in den sogenannten social media (wirklich sozial?) gelöscht werden. Warum eigentlich? Weil er ihm die 1. Amtszeit verdorben hat? Löschungen in den „social“ media sind kompliziert bis unmöglich.

2. Die Kopflosigkeit der Regierenden

Durch den Verlust der Erinnerungskultur geht Vertrauen in die Brüche. Leider mussten wir in Deutschland – etwa bezüglich der Ampel – erfahren, wie wichtig Vertrauen in die Politik ist. Aber kommen wir zurück zur USA-Szene:

Was mich erschreckt hat, ist zunächst einmal die Tilgung der Erinnerung. Was damals unter welchen Umständen passiert ist, können uns alte Fotos zurückrufen. Das was unsere Altvorderen geleistet, welche Risiken sie damit auf sich genommen und warum sie das entschieden haben, gilt als Unfug. Schlimm ist, dass irgendein sehr alter Milliardär sich berufen fühlt, die Leistung anderer kaputt zu machen.

Tilgung der Erinnerung führt in eine konfuse Situation, dass wir nicht mehr genau rekonstruieren können, warum wir gegenwärtig in einer Welt leben, in der wir Angst haben und uns auf nichts mehr verlassen können. Auch Bildung, die von der Erinnerung (Thesen anderer Experten) lebt, gerät in die Krise. Mit der Bildungskrise und der Mobilmachung der    Wirtschaft in der amerikanischen Regierung hat die Ausbildungskrise an den Universitäten der USA leider sehr viel zu tun. Studierende aus der EU werden zurückgewiesen, weil Studien in den USA nicht mehr wichtig, und ausländische Studenten Migranten sind. Ausbildungen der sog. Postdocs (Weiterbildungen nach der Promotion) werden seltener, weil Gelder gestrichen werden. Lehrstuhlbewerbungen deutscher Dozenten werden zunehmend schwieriger. Anstellungen in den USA stoßen auf Migrationsprobleme und haben größere Hürden zu bewältigen, selbst und vor allem bei staatlichen Universitäten. Amerikanische Professoren aus Universitäten, die nicht zu den bekannten Elite-Unis (wie Harvard, MIT, Yale usw.) gehören, gehen gern ins Ausland, auch nach Deutschland übrigens. Selbst für Harvard werden gegenwärtig von Trump Gelder gestrichen.

3. Ein Gegenbeispiel

Fast niemals mehr wird über den früheren Präsidenten Lyndon B. Johnson (1908-1973. Amtszeit: 1963-69) gesprochen.

Für die jüngeren: Nach der Ermordung von John F. Kennedy wurde aus dem Vizepräsiden Lyndon B. Johnson Kennedys Nachfolger. Nach Abschluss dieser Periode wurde er zum neuen Präsidenten mit großer Mehrheit gewählt. Seine Qualifikation war erstaunlich, keineswegs typisch politisch. Er war

  • Lehrer vor allem für mexikanische Migrantenkinder
  • erweiterte die Bürgerrechte durch verschiedene Gesetze
  • sicherte Migranten Aufenthalts- und Bewerbungsrechte zu
  • führte für die ärmeren Amerikaner eine Altersrente (im Civil Rights Act von 1964) ein
  • garantierte den ärmeren Amerikanern, die sich keine Krankenversicherung leisten konnten, eine ausreichende Krankenversicherung (Medicare und Medicaid)
  • mit dem Bürgerrechtslied “We shall overcome” trat er im Kongress ans Rednerpult, um vor allem gegen die Rassentrennung im Süden der USA zu protestieren, was Martin Luther King zu Tränen gerührt haben soll
  • förderte weitere Bildungseinrichtungen
  • verbot in allen amerikanischen Staaten eine Politik, die Diversität, Gerechtigkeit und Inklusion schwächte
  • präsentierte seinen Staatsgästen in der Nähe des Pedernales River (Texas) stolz seine Hereford-Rinder und lief in Cowboy-Stiefeln herum

Trump und seine Kostenkiller-Gang vernichtete all das, was Lyndon B. Johnson zur Basis der amerikanischen Politik gemacht hat und den Nachfolgern seiner Präsidentschaft als Basis galt. Er verzichtete auf eine nächste volle Amtszeit.

4. Ist Trumps Perspektive vielleicht auch unsere Perspektive? Wie Peinlich!?

Alle schimpfen über Trump. Und wir sind die Guten? Das ist eher anders, als wir denken. Sind die Splitter im Auge des anderen, nicht doch unsere eigenen? Listen wir einige sehr einseitige Perspektiven auf:

  • Reichtum ist allzu oft die Grundlage unserer Regierung. Beispiel: Mütterrente. Wer hat die größten Vorteile beim sog. Gießkannenprinzip unserer kommenden Regierung in Deutschland. Natürlich auch die reicheren Mütter, die die Rente eigentlich nicht brauchen? Die brauchen sie höchstens für die Portokasse, nicht die Alleinerziehenden.
  • Bildung ist relativ unwichtig. Ein Philosoph muss Taxi fahren. Auch ein Mediziner z.B.? Brauchen „wir“ die von einem früheren Baden-Württemberger Ministerpräsidenten (L. Späht) so genannten „Diskussionswissenschaften“? Das seien Disziplinen zweiter Klasse. Wo Rauch ist, ist auch ein Feuer.
  • Die EU bringt, wie es scheint, keine einheitliche Strategie zu Wege, wenn es um ein gemeinsames Konzept geht, das an den Interessen einzelner Länder scheitert. Aktuell ist das die Frage der Unterstützung der Ukraine.
  • Unser (zurzeit vermeintlicher) deutscher Kanzler hat eine Migrationspolitik vorangestellt, die längst nicht alle Bürger Deutschlands (etwa die SPD) befürworten.
  • Erinnerungskultur kann sich in vielen Formen zeigen, etwa durch Denkmäler, Gedenkfeiern, Museen, Filme, Jubiläen und Geschichte. Wie wichtig ist uns das? Wo ist die Grenze zur Political Correctness?