DAS TOTENHEMD HAT KEINE TASCHEN

Fahrtenschreiber (Foto Arnold Illhardt)Koslowski lag auf dem Sterbebett. Das etwas gedämpfte Licht seiner Nachttischlampe kaschierte sein bleiches Gesicht. Irgendwo im Trauerhaus hörte man das Schluchzen von künftigen Hinterbliebenen und aus einem Lautsprecher tröpfelte die Instrumentalversion von Atemlos in Dauerschleife; die Trauergemeinde hielt es für etwas unangemessen, Koslowskis Lieblingslied mit dem dazugehörenden Text zu unterlegen. Koslowski selbst schien eher suboptimal zufrieden mit seinem Ableben zu sein. Dachte er doch zeitlebens, sein Leben liefe zu guter Schluss wie eine Doku auf Sat3 vor seinem inneren Auge ab; davon hatte er mal in der Fernsehzeitung seines Vertrauens gelesen. Stattdessen blickte er auf ein nur noch kümmerlich wachsendes Exemplar einer Sansevieria trifasciata, auch als Beamtenspargel bekannt, auf der Fensterbank. Er hatte sich Sterben schöner vorgestellt. Vielleicht mit etwas mehr Lametta zum Schluss.

 

Da klingelte es an der Haustür. Der Sensenmann, dachte Koswlowski in dezenter Aufregung, doch es war ein junger Mann von der örtlichen Finanzbehörde, im lockeren Dress und den unvermeidlichen hellbraunen Lederschuhen. Man bat ihn herein und führte ihn an das Bett des Toten in spe. Der dynamische Finanzbeamte, der sich als Schnöselkötter vorstellte, rückte einen Stuhl heran, setzte sich, legte seine Hand auf den Arm des Dahinsiechenden und nickte ihm wohlwollenden zu. Diesen wohlwollenden Blick lernen Finanzbeamte bereits im ersten Ausbildungsjahr. Es wäre zwar kurz vor knapp – Schnöselkötter lächelte etwas bei seinem seichten Wortwitz – aber besser jetzt als nie. Die ihm auf den Lippen liegende Frage „wie geht´s uns denn heute“, die normalerweise zu seinem „Wie-starte-ich ein-Gespräch-Repertoire“ gehörte, ließ er aus Pietätsgründen weg. Mit einem Klicken öffnete er sein Aktenköfferchen und holte ein paar Unterlagen heraus. „Lieber Herr Koslowski, wie wir in Erfahrung bringen konnten, waren sie zu Lebzeiten … Entschuldigung, ich meine bis zum letzten Atemzug … er hüstelte noch einmal … immer ein echter Sparfuchs.“ Koslowski nickte – lächelte gar. „Es ist beeindruckend“, so der Beamte, „wie sie doch stets bedacht waren, jedes Schnäppchen wahrzunehmen. Allein durch ihre Amazon-Bestellungen konnten sie – sage und schreibe – über 735 Euro einsparen. Beim Kauf ihrer letzten Brille bei Fielmann waren es hübsche 30 Euro weniger als im örtlichen Brillenladen . Respekt! Aber auch die unzähligen Einkäufe, mit denen sie jeweils 50 Cent auf ihrer Habenseiten verbuchen konnten, zeichnen sie als professionellen Pfennigfuchser – wenn ich das so sagen darf – aus! Summa Summarum, lieber Herr Koslowski, sind wir vom behördlichen Finanzamt auf eine stolze Lebenssumme von 4375 Euro und 12Cent gekommen.“ Koslowski wirkte nahezu wiederbeseelt. „Diesen Betrag“, so setzte der Beamte fort, „würden wir ihnen heute gerne gutschreiben, aber …“ – und dann zeigte der Staatsdiener mit einer hingehauchten Handbewegung auf den sukzessiv Dahinscheidenden – „…das Leichenhemd hat bekanntlich keine Taschen und daher erlauben wir uns vom örtlichen Finanzamt, sie um eine Überschreibung des Betrags in die Staatskasse zu bitten. Wenn sie einmal hier unterschreiben würden.“ Koslowski nahm mit zittrigen Händen den Kugelschreiber entgegen, starrte eine Weile auf das Muster seiner Bettdecke, man konnte ein gewisses Entsetzen in seiner Mimik erkennen … und verstarb.