FAHRTENSCHREIBER – Wuttke und die Zielanalyse

Fahrtenschreiber (Foto Arnold Illhardt)

WUTTKE UND DIE ZIELANALYSE … Wuttke war seit 25 Jahren Chefbademeister des Freibads Müntekotten Süd. Er war von stattlicher Statur und auch wenn sich seine frühere Salinofigur in ein Feinkostgewölbe mit angeschlossenem Bierkeller verwandelt hatte, so machte er in seiner prickweißen Kleidung nebst unvermeidlichem Stirnband tüchtig was her. Und – toi toi toi – bisher war immer alles bestens verlaufen, mal abgesehen von der alten Frau Brüningheide, die auf Dauer atmungstechnisch mit dem zu langen Unterwasserbleiben nicht zurechtgekommen war (sie konnte aber auch, wie sich später herausstellte, gar nicht schwimmen), war alles immer glimpflich verlaufen und alle zurückliegenden Rettungsversuche konnten als erfolgreich verbucht werden. Hin und wieder pfiff Wuttke in seine Trillerpfeife, um Rangeleien am Beckenrand, Döppversuche oder ausuferndes Petting bei Pärchen zu stoppen, aber ansonsten führte er ein glückliches Chefbademeisterleben. Manchmal stand er am Becken, schaute durch seine pornoreske Sonnenbrille auf das wilde Treiben und sagte dann zufrieden: „läuft“, obschon es ja eigentlich „schwimmt“ heißen müsste.

Seit ein paar Tagen hatte man Wuttke einen Hilfsbademeister namens Hannemann an die Seite gestellt. Ein junger, dynamischer und drahtiger Baywatchtyp mit 1a-Ausbildung in einer Elitebademeisterschule, der auf- und abwippend neben ihm stand und allein durch seinen Habitus etwas zum Ausdruck brachte, das Wuttke – um es mal harmlos auszudrücken – unangenehm wie billiger Eiersalat aufstieß. Und als er mal wieder sein zufriedenes und eigentlich nur für ihn selbst gedachtes „Läuft“ grummelte, vernahm er, wie dieser Hannemann zum Besten gab: „Nun ja, mir fehlt bei der ganzen Angelegenheit hier doch so eine Art Zielanalyse!“ Wuttke drehte sich zur Seite, starrte den Mister Malibu für Arme an und fragte nach: „Zielanalyse? Was für ein Ziel soll analysiert werden?!“ Darauf Hannemann: „Mir wäre z.B. wichtig zu definieren, wie der Nivellierungsgrad des Hauptschwimmbeckens bezüglich des H20-Gehalts aussehen soll! Man muss immer ein Ziel definieren, um den Ist-Zustand angleichen zu können!“ Wuttke kniff seine Augen noch mehr zusammen als sonst: „Du meinst, ob das Becken voll, weniger voll oder leer ist?“ „Genau“, antwortete der Hilfsbademeister, „solche Fragen müssen klar definiert sein!“ Es entstand eine kleine Pause, in der eine schneidende Schärfe lag, und dann antwortete Wuttke mit aller ihm eigenen und auf jahrzehntelanger Erfahrung fußender Fachlichkeit: „Das Becken ist immer so gefüllt, dass die Badegäste darin schwimmen können. Es ist also: VOLL!“ Hannemann schien halbwegs zufrieden, aber Wuttke verließ das Szenario und ging vor sich hin fluchend in Richtung Bude, um bei Kiosk-Gitti ein Cornetto-Walnusseis-Ultra zu bestellen. Und unterwegs dachte er, es sei an der Zeit, rein zielanalytisch über den Ruhestand nachzudenken.