Baden-Baden
Oder: Der ärmliche Charme der Bourgeoisie

Baden-Baden (Foto A. Illhardt)
Baden-Baden (Foto A. Illhardt)

Baden-Baden. Noch für einen Moment wähnt man sich in einem Sommerort und fühlt sich eingelullt in städtebauliche Sinnlichkeit, da wird man mit einem Sprung zur Seite vom Kapital entromantisiert. Ein Annäherungsversuch.

 

Bei Baden-Baden musste ich eigenartigerweise an das Glasperlenspiel von Herman Hesse denken: Fand ich das Buch als junger Mann einfach nur sperrig und träge, öffnete es mir später ganze Tore kognitiver Speicher und wurde eine Weile zu einer Art Lebensabschnittsbibel. Der überaus sehenswerten Stadt in Baden-Württemberg stattete ich zu meinen unterschiedlichen Lebzeiten einen Besuch ab und erlebte sie auf immer andere Weise. Erschien sie mir als Jungspund schlicht und ergreifend wie eine langweilige Kurstadt mit entsprechend genesungsbedürftigen Insassen, so empfand ich sie beim letzten Besuch als gereifter Mann edel, grandios und luxuriös bis in die hintersten Winkel. Meine Frau, die Städte stets in Winter- und Sommerstädte einzuteilen pflegt, entschied sich spontan für den Sommertyp, nicht ahnend dass man von dem Nobelort sogar als Sommerhauptstadt spricht. Obschon: Winter in Baden? Eine betörende Vorstellung, gesetzt den Fall, man nennt Schneeketten für die Autoreifen sein Eigen. Denn das städtebauliche Kleinod schmiegt sich dermaßen an die Berge des Schwarzwalds, dass man beinah schon von einer unverschämt glücklichen Lage sprechen muss.

 

Baden-Baden bei Nacht (Foto von A. Illhardt)
Baden-Baden bei Nacht (Foto von A. Illhardt)

Von unserem Hotelfenster war uns ein faszinierender Blick über das Auf und Ab Baden-Badens gegönnt und man war beinah versucht, den Ausblick in einer mir eigentlich sehr fremden Weise von Ergebenheit über so viel Beschaulichkeit wahrzunehmen. Da tummeln sich auf engem Raum Casinos, Thermen, Hotels, Kurbetriebe, herrschaftliche Häuser und Parks auf engem Raum und erscheinen trotzdem weiträumig. Immer wieder bleiben wir vor Wandreliefs, schmiedeeisernen Toren oder verträumten Gärten stehen und mit ein bisschen Fantasie spielt sich ein historischer Film vor dem geistigen Auge ab, in den man alsbald wie in ein fiktives Rollenspiel eintaucht. Bis ich plötzlich vor einem Schaufenster stehe, in der eine Handtasche einer mir nichtssagenden Firma für einen vierstelligen Betrag feilgeboten wird. Ich schaue noch mal aufs Schildchen, ob das Material vielleicht aus der Haut einer Luxuskonkubine beschaffen ist, was den Wert möglicherweise etwas erklären würde, doch scheint es sich bei dem Leder um die gegerbte Hülle irgendeines verblichenen Hornviechs zu handeln. Immer mehr solcher übertriebenen Luxusartikel entdecke ich auf unserem Schlendergang, plötzlich herausgerissen aus der temporären Romantisierung: Da gibt es Ringe, Halsketten oder Schuhe, wofür sich andere Menschen Autos kaufen, zumindest gebrauchte. Und dann muss ich auch schon zur Seite springen, ich elendiger Proletarier, weil irgend so ein gelbehaarter Geldsack mit einem dieser lärmenden und auspuffstrotzenden Karossen, die stets an erigierte Penisse erinnern,  wie ein frisch kastriertes Wildschwein durch die enge Straße jagt. Mir mangelt es gerade an losen Pflastersteinen, da tauchen ganze Rudel von bourgeoisen Nichtsnutzen auf; Damen, die aussehen, als seien sie soeben aus der Vogue gestöckelt und Herrenmenschen, die in einer vermeintlich galanten Großkotzigkeit neben dem Weibchen mit den strassbesetzten Stilettos und dem maßgeschneiderten Nahkörperkostüm herumgockeln. Ich habe das Gefühl, sie schauen durch mich hindurch, nehmen mich gar nicht wahr. Vielleicht stehe ich ihnen sogar im Weg.

Und das ist einer der Momente, wo mir livehaftig deutlich wird: Innerer Reichtum hat mit äußerem nichts zu tun. Den muss man wohl oder übel, letzteres ist mir gerade, woanders suchen. Nicht bei den Reichen!