Dieses Thema ist ein Dauerbrenner. Das Buch von Irwin D. Yalom zeigt Wege, die alles andere sind als triviales Gerede. Sein Buch heißt: »In die Sonne schauen: Wie man die Angst vor dem Tod überwindet«. Hier ein kurzer Kommentar.
Über Sterben und Tod nachzudenken ist wie eine Handgranate. Wenn sie auftrifft, gibt’s explosive Probleme. Warum? Am einfachsten hat man es mit dem Atheismus. Nach dem Tod komme nichts, kurz gesagt. Oft zitiert wird auch der Philosoph Epikur in der römischen Antike. Sein Ausspruch: „Mit dem Tod habe ich nichts zu schaffen. Bin ich, ist er nicht. Ist er, bin ich nicht.“ Wenn nur das Sterben nicht wäre! Leben mit dem nahen Tod vor Augen ist das Problem. Da fand ich ein interessantes Buch vom Psychologen Irwin D. Yalom: »In die Sonne schauen: Wie man die Angst vor dem Tod überwindet«
Eine Art Geographie des Lebens danach zu ersinnen, meint er voll Wut gegen die (landläufige) christliche Himmelsgeographie, löst das Problem nicht, mit den Seelen im Himmel später mit Astralleib ausstaffiert. Mag sein, ich glaube das nicht. Wenn nicht die Hölle des Sterbens wäre! Sterbebegleitung im Krankenhaus ist sicher hilfreich. Aber viele sterben zu Hause, möchten ihr Leben zu Hause beenden, sterben an Altersschwäche, sterben an einer nicht erkannten Krankheit usw. Denken wir auch an Seuchen wie zurzeit an Corona, Katastrophen wie kürzlich Überschwemmungen, Verkehrsunfälle usw.! Was macht man da? Das Thema »Tod« verdrängen?
Kommen wir auf die Vorschläge von I.D. Yalom zurück. Er skizzierte ungewöhnliche Wege der psychotherapeutischen Sitzungen, gab der Gruppentherapie neue Wichtigkeit und drückte sich nicht vor existentiellen Fragen. Ich bin nicht sicher, ob er eine Patentlösung gefunden hat, aber ich bin sicher, dass er uns dazu gebracht hat, das Problem angstfreier zu sehen. M.E. ist sein Buch auch für Menschen gedacht, die keine Profis sind, sondern für Menschen, die anderen helfen, ihre Angst vor dem Tod zu überwinden. Nicht umsonst sprach man in den mittelalterlichen Büchern der sog. ars moriendi (= Kunst des Sterbens) , den Helfer beim Sterben als „Freund“ an, professionelle Sterbehelfer kannte man damals noch nicht.
Zunächst berichtet Yalom von Patienten*innen, die Probleme konstruieren, weil ihr Lebensende (und auch das geliebter Mitmenschen) näher rückt. Komisch daran ist, dass ihr schnell zusammengezimmertes Bild vom Tod, die Probleme unter anderem Namen aufbaut. Arbeiten wir an diesem Bild, werden die Probleme kleiner und konkreter. Darum schrieb er im Vorwort:
Yalom vergleicht gerne Sterben mit in die Sonne schauen. Die Folge: Man sieht nichts mehr. Führt es auch zur Blendung, wenn man den Tod betrachtet? Das hängt von uns ab. Tod ist nichts Fremdes in unserem Leben. In der griechischen Mythologie waren Schlaf (hýpnos) und Tod (thánatos) Zwillingsbrüder. Wenn Schlafen und Tod-sein Brüder sind, warum dann Angst haben? Kann das nicht auch produktiv sein? Yalom sagt ja. Er benutzt nicht den Begriff „Tod“, sondern „Todesfurcht“. Das ist ein großer Unterschied. Tod ist, wie der Philosoph Rainer Marten sagte, immer „der Tod der anderen“, aber nicht mein Tod. Was mich bewegt, ist meine Angst vor dem Tod. Wie ich mit meiner Angst umgehen kann, sagen seine Thesen:
Über Tod und Sterben nachzudenken ist demnach keineswegs eine unanständige und versponnene Idee, sondern sehr vernünftig. Warum unanständig? Über Tod und Sterben ernsthaft reden ist garantiert ein Partykiller. Warum versponnen? Darüber zu reden gilt als unrealistisch und hintersinnig.
Das Aktuelle an diesem Thema ist, dass wir alle, ob jung oder alt, mit diesem Thema zu tun haben, es aber oft wegschieben. Wir denken an Situationen von Verlust und Risiko wie Krankheiten, Unfall, Finanzkrisen, Katastrophen, Seuchen, Einsamkeit, Bürgerkriege usw. Was zeigen unsere Medien davon? Zahlen und Fakten. Wer hat geholfen? Wie hoch waren die Spenden?
Natürlich gab es auch recht nachdenkliche Kommentare, aber die sind 1) selten und 2) meist in Nischensendern oder Printmedien mit kleineren Auflagen.
Carolin Emcke (Süddeutsche 31.7. 2021) schrieb: Vor die Berichte über die Flutkatastrophe „schoben sich aufbauendere Aufnahmen, solche, die nicht mehr die Ohnmacht im Angesicht von Tod und Zerstörung markieren, sondern Bilder vom Beseitigen der Trümmer, Bilder vom Aufräumen und von der überwältigenden Hilfsbereitschaft.“
Jetzt wird wieder in die Hände gespuckt / wir fördern das Bruttosozialprodukt – Tod war gestern. Was machen wir mit solchen morbiden Berichten? Hier zwei Beispiele:
Erstens, die Flutkatastrophe und die vielen Todesopfer. Wir verlieren Menschen, die wir lieben. Lebensraum, eigene Anstrengungen usw. werden ausradiert. Angst bedroht uns, wie wir damit umgehen und was die Flutkatastrophe mit uns macht, die Machtlosigkeit, die wir gegenwärtig kaum noch erleben, und die Hilflosigkeit, wie wir mit und trotz Angst leben können. Medien interessieren sich nicht dafür. Zu privat!
Unsere Zeitungen regten sich auf über Laschets Lachen, als Bundespräsident Steinmeier mit Leichenbittermiene über die Toten der Katastrophe redete. Ich mag beide nicht. Laschets Entschuldigung ist mehrdeutig, ich traue mir keinen Kommentar zu. Mein Verdacht ist, dass unser Thema Tod mit all seinen Begleiterscheinungen zum lächerlichen Theater degradiert wird. Laschets Entschuldigung betrifft uns alle, nicht nur seine Kandidatur und seine Partei.
Zweitens, denken wir an die gegenwärtige Pandemie. Todesfälle werden zwar seltener, aber können auch wieder ansteigen, wenn die neuen Mutanten kommen. Aber nicht die Zahlen zählen, sondern die Bedrohung, die Ratlosigkeit der Menschen, die Angst … Es geht ja nicht um irgendetwas, sondern um Grenzen des Lebens. Und mit denen müssen wir uns auseinandersetzen, sie „durcharbeiten“, wie Freud einmal sagte. Also wieder Yalom?
Grenzen des Lebens gibt es viele, nicht nur die beiden, auch wenn sie sehr aktuell sind. Wir müssen mit ihnen umgehen. Sie zu verleugnen, würde niemandem helfen.
Vielleicht ist Durcharbeiten nichts für Fernsehen, Social Media oder Zeitungen. Das bezweifele ich zwar. Die sind wohl auf dem existentiellen Auge blind. Aber für uns ist das wichtig. Tod ist ein bedeutsames Thema, wenn auch ein selten diskutiertes. Yaloms Buch hat mir jedenfalls sehr geholfen, obwohl ich kein Psychotherapeut bin, jedoch in der Klinik viel mit dem Thema zu tun hatte.