Die Würde der Tiere
Was hätte unser Hund dazu gesagt?

Tiere werden immer öfter zum Spielball menschlicher Interessen, etwa wirtschaftlicher oder bürokratischer Reglementierungen. Eine wasserdichte Begründung sehe ich nicht. Hier meine Alternativen.

„Seit ich die Menschen kenne, lieb‘ ich die Hunde“ soll Otto von Bismarck gesagt haben. Das etwas veränderte Zitat stammt vom Philosophen Arthur Schopenhauer. Statt „Hund“ schrieb Schopenhauer „Tiere“. Egal wer es sagte und wie er das sagte, es stimmt: Menschen können hinterhältig sein, Hunde nicht. Wenn man aber – das meinten Bismarck und Schopenhauer nicht – an das Quälen von Tieren denkt, findet man die Menschen, die Tiere quälen, als Psychopathen. Warum?

In Main/USA wird Ende Juli alljährlich das Main-Lobster-Festival wegen der dort ansässigen Hummerindustrie veranstaltet. David Foster Wallace, ein bekannter amerikanischer Schriftsteller, publizierte einen Essay (»Am Beispiel des Hummers«) gegen diese Art von Tierquälerei. Hummer im Topf mit kochendem Wasser leben noch 30-45 Sekunden, schrieb Wallace.

Den Essay verfasste er in der Zeitschrift „Gourmet“. Da sich dieser Artikel von Wallace total gegen die Philosophie der Zeitschrift richtete, vermute ich, dass die Zeitschrift entweder keine Philosophie hatte, oder ein Werbegag mit Tiefgang war. Daraus folgende Passage:

Wallace hat recht. Wir müssen darüber nachdenken, ob wir Tieren Schmerzen zufügen dürfen, sie also keine eigene Würde haben. Dürfen wir nicht. Er kritisiert die üblichen Gedanken der Tierethik. Die fasse ich kurz zusammen. Danach kommt meine Ansicht, die ich realistischer finde.

 

  1. Unsere üblichen Argumente

Die üblichen Argumente der Tierethik gehen vom Problem des Bewusstseins aus.  Eine zentrale Frage ist, ob Tiere Schmerzen empfinden, weil Schmerzempfindung ein Problem des Bewusstseins ist. Es gibt 3 Spezifikationen:

Problematisch finde ich, dass die Reaktion des Tieres unsere Bewertung ist, nicht die des Tieres. Wie könnte das auch gehen? Selbstbewusstsein ist keine von innen kommende Zielsetzung des Tieres, oder wenn man das neurologisch betrachtet: keine Funktion des Gehirns. Mit anderen Worten: Ob ein Tier Würde besitzt, das sind keine kortikalen Qualitäten, sondern des Angesprochen-seins.

Darum versuche ich einen anderen Weg.

 

  1. Meine alternativen Argumente

Würde der Tiere und Sorge für Leidensfreiheit will ich anders begründen, und zwar folgendermaßen:

  • Körper statt Gehirn?

Es ist auch bei dementen Menschen immer die Frage, wenn die Gehirnleistung z.B. bei einem Alzheimer-Patienten, zerstört ist, ob dann die Würde dieses Menschen zerstört ist. Denken wir doch Würde und Bewusstsein immer zusammen? Bei Licht betrachtet, ist das ein Widerspruch in sich: Wenn das Bewusstsein nicht mehr da ist, sprechen wir dann dem Demenzkranken die Würde ab? Blödsinn. Der Körper hat seine Funktionen, seine Vorlieben, seine Freuden usw. sind für uns wichtig. Klar, das Gehirn ist eine Art Koordinationszentrale, aber ohne Körper wäre es überflüssig. Ohne Gehirn gäbe es kein Ich. Ohne Ich wäre das Gehirn nichts wert.

Man denke an den Tübinger Professor Walter Jens, der an Alzheimer erkrankte, aber sich pudelwohl auf dem Bauernhof fühlte. Er redete mit Tieren und die Tiere freuten sich – etwas, was der Rhetorikprofessor in Tübingen niemals ahnte. In vergleichbaren Fällen organisieren manche Altenheime sog. Therapiehunde. Endlich mal was zum Knuddeln!

  • Mensch-Tier-Beziehung: 
Autor +Hund (Foto Johanna Scherle-Illhardt)
Autor +Hund (Foto Johanna Scherle-Illhardt)

(Nebenbei bemerktDer Mann im nebenstehenden Bild ist [noch] nicht im Altenheim.) Wie auch immer, ich freue mich, wenn unser Hund mich schätzt. Unsere Beziehung ist wichtig, ob er Dressurweltmeister wird oder nicht, ist mir total egal, es tut seiner Würde keinen Abbruch.

Die Würde von Mensch und Tier liegt nicht im Gehirn, sondern in der Beziehung und Speicherung (nicht in der kognitiven Erinnerung) seiner Erlebnisse im Körper. Die Orientierung der Bienen z.B. wird nach Portmann nicht durch Erinnerung gespeichert, sondern durch körperliche Speicherung dessen, was draußen los ist.

Warum trauert man, wenn ein Haustier stirbt? Weil die Beziehung zuende ist. Wenn unser Hund stirbt, weiß ich, wie es meiner Frau und mir geht. Kurz und gut. Beziehung ist der Auslöser für unser Entsetzen über das Leiden der Tiere. Ob Tiere neurologisch gesehen leiden können, ist 1. unwichtig und 2. nicht entscheidbar.

  • Drang nach Leben

Allein der Drang nach Leben kann beobachtet werden. Etwa wenn Tiere Schmerzen verspüren, wollen sie den unbedingt vermeiden und suchen nach Auswegen. Alle Schmerzreaktionen wie beim Hummer sind eine Art Drang nach Leben. Etwa wenn Kühe, Schweine usw. zum Metzger transportiert werden, ist das ein letztes Aufbäumen, die Panik des bedrohten Lebens?

Als ich zum Metzger ging sah ich zufällig die Hinterlassenschaften der Kühe und Kälber. Sie haben das Gitter zwischen Auto und Schlachthaus vollgeschissen (Verzeihung!). Die Kühe dachten, besser: fühlten wohl und das mit Recht: ein beschissenes Leben.

Vernünftiges Handeln der Menschen gegenüber Tieren

Ein amerikanischer Ethiker versuchte, klar zu machen, was Humanität ist. Er wählte das Beispiel von einem Haustier mit fürchterlichen Arthrose-Schmerzen. Ein Tierarzt half ihm sofort mit einer Spritze. Das sei Humanität, schrieb der Ethiker. Tieren kann man doch nicht Humanität zuschreiben? Das Problem ist anders: Wenn wir Wesen helfen, die keine Menschen sind, handeln wir ebenso menschlich, als wenn wir Mitmenschen behandeln.

Auf der Plane einer Fahrschule für LKWs in Freiburg stand der Satz des Theologen Thomas von Aquin (12. Jahrhundert) in Riesenlettern: WER TIERE QUÄLT HAT KEIN GEWISSEN. (Keine Angst, die Schwarzwälder sind nicht besonders fromm.) Den Satz von Thomas wollte ich überprüfen. Bei der Diskussion, ob Tiere Rechte haben, begegneten mir ähnliche Sprüche von Thomas.

Zusammengefasst: Das heißt: Für ein Tier gut zu sorgen, ist ein Zeichen unserer Humanität. Für ein Tier schlecht oder nicht zu sorgen, zeugt von unserer Inhumanität. Unser aktuelles Problem ist, dass die Behandlung der Tiere von Unmenschlichkeit zeugt. Denken wir an Küken-schreddern (auch wenn das kürzlich anders geregelt wurde), Tiere schlachten, dass Fleisch für einen Spottpreis angeboten werden kann, Tierpelze billiger verkaufen als Kunststoffpelze, Gänsen lebendig Federn auszureißen usw. Wie es scheint: Unmenschen sind wir gerne und wählen angeblich christliche Parteien. Vielleicht sind ALDI & Co ja doch wichtiger als die CDU.

  • Transparenz der Tierhaltung

Vieles regt uns auf, besonders die Tierhaltung und die Schlachtmethoden. Gerade diese Aspekte zeigen, dass wenn Tiere ein menschenähnliches ZNS hätten, die Tierhaltung und die Schlachtmethoden immer noch genauso brutal wären wie zurzeit.

Gesetzliche Regelungen sind das eine. Transparenz – und auf die kommt es an – hat 3 Seiten: (1) muss eindeutig beschrieben werden, wie Tiere gehalten werden, und (2) muss man verstehen können, was da geschrieben steht sowie was das bedeutet. Und schlussendlich (3) müssen die Tierhaltung und die Schlachtmethoden realistisch und biologisch in Ordnung sein. – Noch-kleiner-Gedrucktes hilft uns und den Tieren nicht.

Mein Resümee: Modell des Platon

Sokrates (Lehrer des Platon) diskutierte mit Thrasymachos, einem damals sehr berühmten Weisheitslehrer in Athen, auf dem Marktplatz über – heute würde man sagen – Tierethik u.a. Interessant. Sokrates (im Buch von Platon) geht es um Gerechtigkeit im Staat und kommt auf Tierethik. Behandlung der Tiere hat wohl zu tun mit der fairen Behandlung der Menschen.

Mir imponiert ein Wesenszug des Sokrates. Er will nicht belehren, sondern althergebrachte Denktraditionen unterlaufen. Seine Dialogkunst heißt „Hebammenkunst“ (Mäeutik), also simplifiziert: herausholen, was schon drin ist. Altes nicht durch Neues ersetzen, nur das, was „man“ so denkt, hinterfragen. Das will ich auch, keine unfehlbaren Ansichten vorgeben.

Hier der entsprechende Satz aus Platons Politeia (»Über den Staat«). Entschuldigung für die alte Übersetzung und Rechtschreibung:

„Die Kunst des Hirten aber kümmert sich doch wohl nicht um etwas Anderes, als daß sie für dasjenige, wofür sie aufgestellt ist, das Beste herbeischaffe“. Und weil „sie [die Kunst des Hirten, F.J.I] es daran nicht fehlen läßt“ ist sie eben die Kunst des Hirten“.

Daraus folgt: Eine würdige Behandlung der Tiere orientiert sich an folgenden Herausforderungen:

  • Achtung des Selbstinteresses der Tiere
Kuhherde (Foto FJ Illhardt)
Kuhherde (Foto FJ Illhardt)

Unsere wichtigste Frage ist: Was könnte das Tier wollen? Die Zeit der Kettenhunde ist – Gott sei Dank – vorbei, die man brauchte, um unseren Hof zu bewachen, man brauchte Kühe, um für uns Milch zu produzieren, oder Hühner, um für unser Frühstück Eier zu legen, oder Schweine für möglichst rentable Fleischgewinnung, die prophylaktisch durch Antibiotika geschützt werden. Man denke auch an Pferde, Esel, Lamas und andere Tiere.

Wirklich wichtig ist, was das Tier will. Welche Umgebung? Welche Artgenossen? Welches Futter? Wieviel und welche Bewegung? Welches Klima? Bedingungen, die das Tier braucht, um gut leben und überleben zu können. Niemals mehr dieses »Wir brauchen das Tier, um ….« No-Go ist, wenn kleinere Tiere an Rastplätzen auf der Autobahn ausgesetzt werden oder nicht das Glück haben, auf einem sog. Gnadenhof zu landen.

  • Fremdgesteuerte Ausnutzung

Was bei Platon noch ganz anders war als heute: Tierhaltung bis hin zur Schlachtung dienen heute oft industrieller Verwertung. Langsam, leider sehr langsam, kippt dieses industrielle Verwertungsinteresse zugunsten einer am Selbstinteresse des Tieres und einer ökologisch gesicherten Tierhaltung.

Idiotie einer fremdgesteuerten Ausnutzung ist der Fall der industriellen Ausnutzung der Tierverwertung. Der Preis diktiert die Qualität der Tierhaltung. Je billiger die Bedingungen, desto größer der Gewinn. Und Platon diskutierte über die Gerechtigkeit im Staat. In Berlin kommt Platon auf den Index?

  • Affenbabys oder Menschenbabys?

2000 erschien ein Buch des australischen Philosophen Peter Singer. Er wagte einen aufregenden Vergleich: Vielen gelte Bewusstsein als Maßstab für die Würde und das Verbot, Leiden zuzufügen. Singer stellte fest, dass neugeborene Affen mehr Bewusstsein und Intelligenz besäßen als menschliche Neugeborene. Warum dürfe man sie nicht töten und in die Pfanne tun, fragte er. Es kommt doch eh nur auf die Gehirnleistungen an. – Ein Sturm der Entrüstung entbrannte.

Man entdeckte viele Fehler bei Singer. Das ist eigentlich nicht so wichtig. Wir bräuchten einen wasserdichten Gegenbeweis. Das hat aber noch niemand geschafft. Es bleibt mithin die Unsicherheit. Wir sind nach wie vor unsicher, ob Bewusstsein und Intelligenz die Würde eines Wesens, auch die eines Tieres, ausmachen. Suchen ist besser als wissen. Wir bieten Argumente für das Suchen an.

Verunsicherung ist die Methode des Sokrates. Mehr will ich auch nicht.